In der Euregio zwischen Aachen, Lüttich und Maastricht pendeln regelmäßig mehrere tausend Arbeitnehmer zum Arbeiten in das Nachbarland. Dabei hat der Wohnsitzstaat grundsätzlich ein Besteuerungsrecht für die sogenannten Welteinkünfte des Arbeitnehmers in dem Wohnsitzstaat, während der Staat, in dem der Arbeitgeber ansässig ist, ebenfalls ein Besteuerungsrecht aufgrund der dortigen Betriebsstätte hat. Um zu vermeiden, dass Einkünfte doppelt oder eventuell gar nicht besteuert werden, haben die Länder sogenannte Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen, die bei grenzüberschreitenden Sachverhalten das Recht zur Besteuerung für bestimmte Einkünfte zwischen den beiden Ländern regeln. In einigen DBA’s gibt es auch zusätzliche spezifische Regelungen für Grenzgänger.

Danach gilt grundsätzlich, dass Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit in dem Land besteuert werden, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat bzw., falls der Arbeitgeber mehrere Betriebsstätten hat, in dem Land, in dem die Betriebsstätte liegt, an der der Arbeitnehmer tätig ist. Dies ergibt sich zum Beispiel aus Art. 15 Abs. 1 des DBA zwischen Deutschland und Belgien vom 11. April 1967.

Im Sozialversicherungsrecht gilt aufgrund der EU-Verordnung 883/2004, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich in dem Land sozialversicherungspflichtig ist, in dem er seine Tätigkeit ausübt. Übt er jedoch einen wesentlichen Teil, d. h. mindestens 25 % seiner Tätigkeit im Wohnsitzland aus, wird er dort sozialversicherungspflichtig.

Aufgrund der Ein- und Ausreisebeschränkungen zwischen Deutschland und Belgien sowie der Verpflichtung der Unternehmen, so weit wie möglich Home Office-Arbeitsplätze einzurichten, arbeiten viele Arbeitnehmer derzeit zu Hause. Der Wohnsitz und der Ort der Tätigkeit fallen daher zumindest zeitweilig zusammen. Dies kann unter steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten zu einem Wechsel der Veranlagung führen.

Viele Doppelbesteuerungsabkommen sehen vor, dass bei Überschreiten einer bestimmten Anzahl an Tagen, an denen der eigentliche Tätigkeitsstaat nicht aufgesucht wird, das Recht zur Besteuerung auf den Wohnsitzstaat zurückfällt. Art. 15 Abs. 2 Nummer 1 des deutsch-belgischen DBA sieht zum Beispiel vor, dass Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine in dem anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbstständige Arbeit bezieht, nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden, wenn sie für eine Tätigkeit gezahlt werden, die in dem anderen Staat insgesamt nicht länger als 183 Tage übliche Arbeitsunterbrechungen eingeschlossen während des Kalenderjahres ausgeübt wird.

Wir wissen nicht, wie lange die Einschränkungen aufgrund der Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie noch dauern. Frankreich hat den Ausnahmezustand gerade bis zum 24. Juli 2020 verlängert. Es besteht daher in dem einen oder anderen Fall durchaus die Möglichkeit, dass die Verpflichtung zum Home-Office dazu führen kann, dass der Arbeitnehmer unter Berücksichtigung seines Urlaubsanspruches mehr als 183 Tage oder zu mehr als 25 % in dem Wohnsitzstaat tätig wird. Das könnte theoretisch zu einem Wechsel des Rechtes zur Besteuerung und der sozialversicherungsrechtlichen Veranlagung oder einer anteiligen Berücksichtigung der in dem Wohnsitzstaat erbrachten Tätigkeit führen. Auch könnte eine Betriebsstätte im Sinne von Art. 5 des DBA in dem Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers angenommen werden, die zu einer teilweisen Besteuerung der hierdurch generierten Einkünfte des Unternehmens in dem Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers führt, auch wenn nach Ansicht des OECD-Sekretariats das zeitweilige Home-Office keine solche Betriebsstätte begründet (siehe hierzu OECD Secretariat Analysis of Tax Treaties and the Impact of the COVID-19 Crisis vom 3. April 2020).
Allerdings handelt es sich bei der Erbringung der Arbeitsleistung im Home-Office nur um eine vorübergehende Situation aufgrund staatlicher Maßnahmen und nicht um eine organisatorische Entscheidung der Unternehmen oder Arbeitnehmer. Um zu vermeiden, dass das Besteuerungsrecht oder die sozialversicherungsrechtliche Zuordnung aufgrund der Corona-Krise unbeabsichtigt wechselt, oder um zu vermeiden, dass Arbeitnehmer unnötigerweise, nämlich aus rein steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Gründen, zu ihrem Arbeitsplatz pendeln müssen, wurden zwischen Deutschland und den Niederlanden, Österreich und Luxemburg sogenannte Konsultationsvereinbarungen geschlossen. Nach Maßgabe dieser sind die Tage, in denen der Arbeitnehmer im Home-Office tätig war, zwischen dem 11. März bis zum 30. April 2020 bereits nicht anzuwenden. Diese Vereinbarungen verlängern sich jeweils um einen Kalendermonat, sofern sie nicht vor Beginn des jeweils folgenden Kalendermonats gekündigt werden. Frankreich hat seinerseits mit Belgien, Deutschland Luxemburg und der Schweiz vereinbart, dass es aufgrund der Corona-Maßnahmen zu keiner Änderung des Steuerstatuts von Grenzgängern kommen soll. Wir versuchen zur Zeit herauszufinden, ob eine entsprechende Vereinbarung auch zwischen Deutschland Belgien besteht. Dies scheint stand heute noch nicht der Fall zu sein. Die Bundesreplik hatte am 3. April 2020 allerdings angekündigt, hierüber mit allen Nachbarstaaten Einvernehmen herzustellen.

Im Bereich des Sozialversicherungsrechts jedenfalls haben Deutschland, die Niederlande und Belgien beschlossen, dass die Anwendung der 25 %-Grenze ausgesetzt wird, wenn die Heimarbeit durch den Ausbruch des Coronavirus verursacht wurde.

Grenzpendler sollten jedoch für den Zeitraum der Corona-Maßnahmen vorsorglich erfassen, an welchem Ort sie sich normalerweise aufgehalten hätten, bestünden die Beschränkungen nicht, und an welchem Ort sie sich tatsächlich zur Erbringung der Arbeitsleistungen aufgehalten haben. Die Anordnung, ausschließlich aufgrund der Corona-Krise im Home-Office zu arbeiten, sollte ebenfalls dokumentiert werden, sinnvollerweise durch eine schriftliche Anweisung des Arbeitgebers, der Home-Office aufgrund der Corona-Maßnahmen ausdrücklich, jedoch als vorübergehende Maßnahme bis zur Aufhebung der Restriktionen anordnet. Auch der Arbeitgeber hat an dieser Dokumentation ein ureigenes Interesse, um unnötige Diskussionen über den Begriff der Betriebsstätte nach dem hoffentlich baldigen Ende der Pandemie zu vermeiden.

Wir werden weiter berichten.

Guido J. Imfeld

Rechtsanwalt (DE)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator

Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Guido Imfeld ist zugelassener Anwalt seit 1996 und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht und für gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht. Seit dem Jahre 2000 ist er auch in Belgien als Anwalt zugelassen. Zum Anwaltsprofil