Urteil des BGH vom 17. Oktober 2019 (III ZR 42/19)

Mit Urteil vom 17. Oktober 2019 äußerte sich der BGH zu der Frage, ob wegen der Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung Schadensersatz für die hieraus entstandenen Kosten der Prozessführung gefordert werden kann.

Es kommt leider sehr häufig vor, dass eine Vertragspartei trotz Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands vor einem anderen Gericht, meistens dem Gericht an ihrem Sitz klagt.

Zwar wird der erste Einwand der beklagten Partei in einem solchen Fall die Unzuständigkeit des Gerichtes sein. Aber bereits dies verursacht Kosten durch die Einschaltung eines postulationsfähigen Anwaltes. Auch ist die beklagte Partei gut beraten, sich nicht nur auf die Unzulässigkeit der Klage zu berufen, sondern vorsorglich auch zur materiellen Rechtslage vorzutragen, falls diese Verteidigungsmöglichkeiten hergibt.

Der BGB hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem ein Telekommunikationsunternehmen mit Sitz in Bonn den in Washington DC ansässigen Vertragspartner auf Schadensersatz in Anspruch nahm, weil dieser durch Anrufung eines US-amerikanischen Gerichts in einem Vorprozess eine nach Ansicht des Bonner Unternehmens wirksam vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung verletzt hatte und dem Bonner Unternehmen hierdurch erhebliche Kosten entstanden waren.

Bereits die Vorinstanz ging von einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung zum Landgericht Bonn sowie der Vereinbarung der Anwendbarkeit des deutschen Rechts aus. Mit der Erhebung einer Klage in den USA habe das Washingtoner Unternehmen die Gerichtstandvereinbarung verletzt.

Das Berufungsgericht, OLG Köln (Urteil vom 26.02.2019 – 3 U 159/17) hatte jedoch entschieden, die Beklagte habe keinen Schadensersatzanspruch aus den §§ 280, 249 ff. BGB in Verbindung mit der Gerichtstandvereinbarung oder aus §§ 823, 826 BGB. Zwar sei in dem Vertrag Bonn als ausschließlicher Gerichtstand vorgesehen und der Vertragspartner habe durch Erhebung der Klage in den USA hiergegen verstoßen. Der Vertragspartner sei jedoch nicht schadensersatzpflichtig. Denn eine dahingehende materielle Verpflichtung lasse sich der Gerichtsstandsvereinbarung mangels konkreter Anknüpfungspunkte nicht entnehmen. Auch konkurrierende deliktische Ansprüche verneinte das Vordergericht.

Der BGH kassierte jedoch dieses Urteil. Es sei ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit der Gerichtsstandvereinbarung des Vertrages gegeben.

Aus dem Vertrag folge eine materiellrechtliche Verpflichtung des amerikanischen Vertragspartners, Ansprüche aus dem Vertrag ausschließlich in Bonn geltend zu machen. Diese Pflicht sei durch Erhebung einer Klage vor dem District Court in Washington verletzt worden. Für die hieraus entstandenen Kosten hafte das Unternehmen.

Der BGH entschied, dass eine Gerichtstandvereinbarung zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB begründe. Dem stehe die Rechtsnatur einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht entgegen, da es sich nach der ständigen Rechtsprechung des BGB bei der Vereinbarung eines internationalen Gerichtstandes um einen materiell-rechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen handelt. Ein solcher materiell-rechtlicher Vertrag müsse nicht auf einen Gegenstand beschränkt sein. Es sei den Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit ohne Weiteres möglich, in einem Vertrag neben der Regelung rein prozessualer Gegenstände diese ergänzende materiell-rechtliche Verpflichtungen zu vereinbaren. Zum gleichen Ergebnis komme man jedoch auch, wenn man in der Gerichtsstandvereinbarung einen reinen Prozessvertrag sähe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass ein gerichtlich durchsetzbarer Hauptanspruch auf Unterlassung der Anrufung eines Gerichtes nicht wirksam vereinbart werden können. Denn jedenfalls seien auch Verstöße gegen unselbstständige, nicht einklagbare Nebenpflichten, gleichgültig ob sie aus § 241 Abs. 1 oder Abs 2 BGB folgten, gemäß § 280 Abs. 1 BGB schadensersatzbewehrt.

Dem stünde auch die Erwägung der Unzulässigkeit einer Anti-Suit-Injunction nicht entgegen. Hierbei handelt es sich um eine Klage, mittels derer der anderen Partei verboten werden soll, vor einem bestimmten Gericht zu klagen. Solche werden im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO als unzulässig betrachtet. Hieraus folge jedoch nicht ein Verbot, Schadensersatz bei Verletzung einer Gerichtsstandvereinbarung geltend zu machen. Auch führe die Annahme einer Schadensersatzverpflichtung nicht dazu, eine gerichtliche Entscheidung eines anderen Staates in Frage zu stellen. Denn Voraussetzung des Schadensersatzanspruches sei jedenfalls, dass das zuerst angerufene Gericht infolge der Gerichtsstandvereinbarung seine Zuständigkeit versagte. Da der Schadensersatzanspruch erst Konsequenz der Unzulässigkeit der Anrufung des ersten Gerichtes ist, könne kein Widerspruch zwischen beiden Entscheidungen entstehen.

Infolge dessen bejahte der BGH einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach. Der Höhe nach bezieht dieser sich auf die Prozesskosten, die der Vertragspartner durch die Verteidigung gegen die unzulässige Klage aufwenden musste.

Hierbei muss man allerdings den Einzelfall betrachten: In dem vorliegenden Fall handelte es sich um die Entscheidung eines Gerichtes in Washington DC, das nach amerikanischer Rechtstradition einen Kostenerstattungsanspruch für die obsiegende Partei verneinte. Deshalb könne hier in dem Folgeprozess vor dem Landgericht Bonn Schadensersatz für die Kosten angemessener Rechtsverfolgung gefordert werden. Dies stehe bereits deshalb nicht im Widerspruch zu einer Kostenentscheidung des angerufenen Gerichts, da eine solche nicht vorlag.

Hieraus folgt aber zunächst, dass bei Anrufung eines anderen als des prorogierten Gerichtes dann jedenfalls ein Schadensersatzanspruch ausscheidet, wenn das Gericht selbst nach seiner Verfahrensordnung einen Erstattungsanspruch in dem Prozessurteil nach Feststellung der Unzulässigkeit der Klage zuerkennt. Denn dann liegt eine Entscheidung über die Kosten dem Grunde und der Höhe nach vor.

Wie es sich jedoch verhält, wenn das unzulässigerweise angerufene Gericht zwar grundsätzlich einen Kostenerstattungsanspruch kennt, dieser jedoch in keinem angemessenen Verhältnis zu den tatsächlich aufgewandten (angemessen) Kosten steht, wie dies häufig zum Beispiel in Frankreich der Fall ist, war nicht Gegenstand Entscheidung des BGH.

Allerdings muss man hier differenzieren: Wird zum Beispiel im Anwendungsbereich des französischen Art. 700 NCPC nur über die gerichtlichen, nicht jedoch die außergerichtlichen, d. h. Anwaltskosten entschieden, könnte der Anwendungsbereich der Entscheidung BGH möglicherweise eröffnet sein.

Erfolgt hingegen eine Entscheidung über die Kosten, ist diese jedoch regelmäßig abschließend. Anders jedoch könnte es sich verhalten, wenn die Kostenerstattung in keinem Verhältnis zu den angemessenen Kosten der Rechtsverteidigung vor Ort und möglicherweise, vorsorglich im Wege des Kontrollargumentes, nach Maßgabe des Zivilprozessrechtes des vereinbarten Gerichtes steht. Möglicherweise können dann die Erwägung des BGH auch einen solchen Fall fruchtbar gemacht werden.

Das Urteil ist sehr zu begrüßen, da es der essenziellen Bedeutung einer Gerichtstandvereinbarung durch Zuerkennung eines materiell-rechtlichen Gehaltes zur Wirksamkeit verhilft. Dies wird erlauben, in Zukunft Rechtsstreitigkeiten planbarer zu machen. Denn künftig könnte bei Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstandes (und jedenfalls bei der Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts) die Anrufung eines nicht prorogierten Gerichtes, gerade, wenn dies aus taktischen Gründen (sogenanntes Brüsseler Torpedo) geschieht, zu Schadensersatz führen.

Guido J. Imfeld

Rechtsanwalt (DE)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator

Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Guido Imfeld ist zugelassener Anwalt seit 1996 und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht und für gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht. Seit dem Jahre 2000 ist er auch in Belgien als Anwalt zugelassen. Zum Anwaltsprofil