Hohe Nachlässe oder sehr günstige Leasingkonditionen bei dem Verkauf von Neufahrzeugen sind häufig Begleiterscheinung von Abverkäufen von Lagerbeständen von Kfz-Händlern, insbesondere, wenn ein Modellwechsel ansteht. Bis zu welcher zeitlichen Grenze darf jedoch ein Lagerfahrzeug noch als Neufahrzeug bezeichnet werden?

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH gilt ein Fahrzeug als Neufahrzeug, wenn und solange das Modell dieses Fahrzeugs unverändert weitergebaut wird, wenn es keine durch längere Standzeit bedingten Mängel aufweist und wenn zwischen Herstellung des Fahrzeugs und Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als zwölf Monate liegen.1 Da jedes Kraftfahrzeug einem Alterungsprozess unterliegt, der mit dem Verlassen des Herstellungsbetriebs einsetzt, geht der BGH im Regelfall davon aus, dass eine Lagerzeit von mehr als zwölf Monaten die Fabrikneuheit eines Neuwagens beseitigt.

Diese Rechtsprechung gilt auch für Motorräder.2

Das OLG Hamm hat in einem Fall, in dem der Kaufvertrag 11,5 Monate nach der Herstellung des Fahrzeugs geschlossen und das Fahrzeug dem Käufer 12,5 Monate nach der Herstellung übergeben wurde, ebenfalls auf den Kaufvertragsschluss abgestellt und angenommen, dass es sich um ein Neufahrzeug handelte.3 Nach Ansicht des OLG kann die 12-monatige Frist zwischen Herstellung und Abschluss des Kaufvertrages nicht aufgeweicht werden. Dies begründet das OLG damit, dass der BGH bei Abfassung seiner Grundsatzentscheidung vom 15.10.2003 gehalten war, eine Rechtssicherheit schaffende und praktikable Höchstfrist zu bestimmen, ab deren Ablauf ein Kraftfahrzeug nicht mehr als „Neuwagen“ bezeichnet werden darf. Eine Aufweichung der Frist widerspreche der Intention dieser Rechtsprechung.

Da die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, im Zeitpunkt der Übergabe zu beurteilen ist (§ 434 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 446 S. 1 BGB), ist allerdings durchaus zweifelhaft, ob im Hinblick auf das Vorliegen eines „Neufahrzeugs“ wirklich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist. Auf diese Frage ist das OLG Hamm in der oben zitierten Entscheidung nicht eingegangen. Demgegenüber hat das OLG Brandenburg in einer Entscheidung aus dem Jahr 2008 Bedenken geäußert, ob sich die Frist statt auf den Abschluss des Kaufvertrags auf die Übergabe der Kaufsache beziehen müsste.4 Zur Begründung führte das OLG an, der BGH habe in seiner Grundsatzentscheidung zwar von einer Frist zwischen Herstellung und Kaufvertragsschluss gesprochen, tatsächlich aber auf den Zeitraum zwischen Herstellung und Übergabe abgestellt. Dies ist unzutreffend. Der BGH stellte in seiner Entscheidung auf eine Lagerzeit von 19 Monaten ab, die in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall zwischen der Herstellung des Fahrzeugs und dem Abschluss des Kaufvertrags vergangen waren.5 Gleichzeitig formulierte der BGH aber:

„Die Lagerzeit von 19 Monaten im vorliegenden Fall führt deshalb […] dazu, dass dem Fahrzeug die zugesicherte Eigenschaft (fabrikneu) bei Übergabe gefehlt hat.“

Diese Formulierung könnte einen Anhaltspunkt bieten, um doch auf den Übergabezeitpunkt abzustellen.

Entscheidungen, die von der 12-monatigen Frist abweichen oder explizit auf den Übergabezeitpunkt abstellen, sind jedoch nicht ersichtlich.

Daher gilt: Der Verkäufer darf ein Fahrzeug nicht als Neufahrzeug verkaufen, wenn dies vor mehr als 12 Monaten berechnet ab dem Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses produziert wurde.

 

Guido Imfeld
Rechtsanwalt / Avocat / Advocaat
Fachanwalt für internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator

 



1
BGH, Urt .v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160 ff.; bestätigt durch Urt. v. 29.06.2016 – VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015, Rn. 44.

2 LG Berlin, Urt. v. 12. 8. 2004 – 18 O 452/03, NJW 2005, 2163 f.
3 OLG Hamm, Urt. v. 16.08.2016 – 28 U 140/15, BeckRS 2016, 16819 (Herstellung am 30.09.2011; Kaufvertrag am 29.09.2012; Übergabe am 12.10.2012).
4 OLG Brandenburg, Urt. v. 17.01.2008 – 12 U 107/07, BeckRS 2011, 16774. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls ging das OLG allerdings von einem Neufahrzeug aus, obwohl zwischen Herstellung und Übergabe mehr als 18 Monate lagen.
5 BGH, Urt .v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02, NJW 2004, 160 ff. (Herstellung am 30.11.1998; Kaufvertrag am 30.06.2000 (= 19 Monate nach Herstellung); Lieferung erst am 9.8.2000 (= 20 Monate nach Herstellung).

Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Guido Imfeld ist zugelassener Anwalt seit 1996 und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht und für gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht. Seit dem Jahre 2000 ist er auch in Belgien als Anwalt zugelassen. Zum Anwaltsprofil