Wann bleiben Kinder bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen unberücksichtigt?

Diese Frage stellt sich sowohl in den Fällen der Pfändung von Arbeitseinkommen als auch in der Situation einer Insolvenz. Im Falle der Lohnpfändung und der Insolvenz seines Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber jeweils den pfändbaren Betrag des Arbeitslohnes an den pfändenden Gläubiger oder den Insolvenzverwalter abzuführen. Der Arbeitnehmer erhält den pfändungsfreien Anteil seines Einkommens ausbezahlt.

Wo die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen liegen, richtet sich zum einen nach der Höhe des Nettoeinkommens und zum anderen nach der Anzahl der Personen, für die der Arbeitnehmer gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist. Dies sind zumeist die Kinder und der Ehepartner – soweit diese jeweils nicht über eigenes Einkommen verfügen.

Soweit klingt es recht einfach. Wie wird das pfändbare Einkommen aber berechnet, wenn die Personen, die der Arbeitnehmer gesetzlich unterstützen muss, über eigenes Einkommen verfügen? Hier finden sowohl familienrechtliche als auch insolvenzrechtliche und Regelungen des Zwangsvollstreckungsrechtes Anwendung und bei dem Zusammentreffen unterschiedlicher Rechtsgebiete kann es dann „komplizierter“ werden.

In einem derartigen Fall ist die gesetzliche Regelung in § 850 c Abs. 4 ZPO anzuwenden. Dort heißt es dem Sinne nach, dass der zwangsvollstreckende Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter gegenüber dem Vollstreckungsgericht/Insolvenzgericht einen Antrag stellen kann, dass eine unterhaltspflichtige Personen bei der Berechnung des unpfändbaren Anteiles des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt, wenn diese Person über eigene Einkünfte verfügt.

Folgende Situationen sind beispielsweise denkbar:

1. Der Ehegatte verfügt über eigenes Einkommen

Hat ein Arbeitnehmer Schulden und wird sein Arbeitseinkommen gepfändet bzw. befindet er sich in der Insolvenz und verfügt sein Ehepartner über eigenes Einkommen in ausreichender Höhe, kann von Gläubiger-/Insolvenzverwalterseite der Antrag nach § 850 c Abs. IV ZPO gestellt werden, dass dieser Ehegatte mit eigenem Einkommen bei der Berechnung des unpfändbaren Anteils des Einkommens unberücksichtigt bleibt. Der Arbeitnehmer wird damit dann finanziell so gestellt, als ob er niemandem zum Unterhalt verpflichtet ist. Faktisch ist er dies auch nicht, weil sein Ehepartner keinen Bedarf hat, unterstützt zu werden, da er ja über eigenes Einkommen verfügt.

2. Der Ehegatte verfügt über eigenes Einkommen und die Ehepartner haben Kinder und leben alle gemeinsam in einem Haushalt:

Diesen Sachverhalt hatte der BGH in einem Beschluss vom 16.04.2015 (ZInsO 2015, 1101 ff.) zu entscheiden.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:

Der Ehemann befand sich im Insolvenzverfahren – mit der Folge, dass der pfändbare Anteil seines Einkommens an den Insolvenzverwalter zu zahlen war. Sowohl der Insolvenzschuldner (Ehemann) als auch seine Ehefrau bezogen ein Nettoeinkommen in Höhe von jeweils ca. 1.800,00€. Das Ehepaar hat zwei minderjährige Kinder. Die Familie und damit die vier vorgenannten Personen leben in einem Haushalt.

Die Ehefrau gewährt den Kindern sogenannten Naturalunterhalt – und damit keine Barzahlungen, sondern Naturalbezüge in Form von unentgeltlichem Wohnen, freier Kost, also dem, was ein Kind als „Sachbezug“ zum Leben braucht. Der Insolvenzverwalter des Ehemannes beantragte, die Ehefrau zu 100% und die beiden Kinder jeweils zu 50% bei der Berechnung des unpfändbaren Teiles des Einkommens (des Ehemannes) nicht zu berücksichtigen. Der Bundesgerichtshof gab in dem Beschluss vom 16.04.2015 diesem Antrag statt. Der betreffende Leitsatz lautet:

„Zu den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten, die dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners einschränken oder ausschließen können, gehört auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gewährte Naturalunterhalt.“

Der Bundesgerichtshof begründet diese Entscheidung in Eckpunkten wie folgt:

  • Die minderjährigen Kinder haben grundsätzlich einen Anspruch auf Unterhalt gegenüber ihrem Vater. Dabei beziehen sie den vorerwähnten sogenannten Naturalunterhalt ebenfalls von der Kindesmutter und dieser Naturalunterhalt, den sie von der Kindesmutter erhalten, ist ein eigenes Einkommen der Kinder im Sinne von § 850 c Abs. 4 ZPO.
  • Infolge dieses erhaltenen Naturalunterhaltes verringert sich der Bedarf des Kindes und entlastet damit den Vater als den weiteren gesetzlichen Unterhaltsverpflichteten.
  • Es sei bei den Unterhaltsleistungen zwischen Betreuungsunterhalt einerseits und Bar-bzw. Naturalunterhalt andererseits zu unterscheiden. Der Betreuungsunterhalt umfasse die Betreuungsleistungen in Form von Versorgung, Erziehung, persönliche Zuwendung und Haushaltsführung (BGH ZInsO 2015, 1101, 1102). Das Elternteil, das das Kind betreut, genügt regelmäßig seiner Unterhaltspflicht. Dabei geht der Bar-bzw. Naturalunterhalt über diesen Betreuungsunterhalt hinaus. Wenn ein Elternteil über Betreuungsleistung hinaus weitere Bar- oder Naturalleistungen (wie z. Bsp. unentgeltliches Wohnen oder freie Kost) erbringt, verringert es dadurch den Bedarf des berechtigten Kindes und entlastet so den weiteren zum Unterhalt verpflichteten Ehepartner.
  • Damit ist der Naturalunterhalt der Kindesmutter (der neben ihrer Betreuungsleistung von ihr erbracht wird) beim Vater bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die ausschließliche Betreuung des Kindes durch den Ehepartner (hier: die Kindesmutter) erfolgt. In diesem Fall geht der BGH davon aus, dass beide Ehepartner im Verhältnis ihrer jeweiligen Einkommen durch Bar- bzw. Naturalunterhalt für ihre Kinder aufkommen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Kinder jeweils nur mit 50% als unterhaltsverpflichtete Personen bei der Berechnung der Pfändungsfreibeträge und damit der Höhe der Pfändungsgrenzen zu berücksichtigen sind.

Im Ergebnis errechnet sich in dem vorliegenden Fall damit der Pfändungsfreibetrag des Insolvenzschuldners nicht unter Zugrundelegung von drei unterhaltspflichtigen Personen (Ehefrau und zwei minderjährige Kinder), sondern nur noch auf der Grundlage von einer unterhaltspflichtigen Person (nicht mehr die Ehefrau und die beiden Kinder nur noch zu jeweils 50%).

3. Anwendung der BGH-Entscheidung auf geschiedene und getrennt lebende Ehepaare:

Was bedeutet diese Entscheidung, dass

  • Bar- und Naturalunterhalt als Einkommen im Sinne von § 850 c ZPO bei der Berechnung der Pfänfungsfreigrenzen gelten
  • und durch diesen Bar- und Naturalunterhalt des anderen Ehepartners der Bedarf des Kindes gedeckt wird und damit der Ehepartner in seiner Unterhaltspflicht entlastet wird

für geschiedene und für getrennt lebende Ehepartner?

a. Zu bewertende Ausgangslage:

Wenn die Ehepartner geschieden sind oder getrennt leben, erhalten regelmäßig die Kinder folgende Unterhaltsleistungen:

  • Betreuungsunterhalt und Naturalunterhalt von dem Elternteil, bei dem sie leben
  • und Barunterhalt in Form der Unterhaltsleistungen in Höhe der sog. Düsseldorfer Tabelle von dem weiteren Elternteil.

Dabei geht die Düsseldorfer Tabelle im Anschluss an die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 21.12.1977 – IV ZR 4/77) davon aus, dass Barunterhalt und Naturalunterhalt durch den betreuenden Elternteil regelmäßig gleichwertig sind. Der BGH hat bereits mit Urteil vom 21.12.1977 wie folgt entschieden:

„Die von der Mutter ausgeübte Pflege und Erziehung der Kinder gilt in der Regel als Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht (§ 1606 III 2 BGB). Sie wird im allgemeinen als eine den finanziellen Leistungen des Vaters gleichwertige Leistung anzusehen sein, wenn sich die Unterhaltszahlungen des Vaters im durchschnittlichen Rahmen halten, etwa, wie hier, im Rahmen der sogenannten „Düsseldorfer Tabelle”.“

b. Berücksichtigung unterhaltspflichtiger Personen bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen:

Demzufolge beteiligt sich bei geschiedenen und bei getrennt lebenden Ehepartnern, die in getrennten Haushalten leben, jeder der beiden Ehepartner durch die vorgenannte Unterhaltssituation (Naturalunterhalt und zusätzlich Barunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle) jeweils hälftig gleichwertig am Bedarf der Kinder. Es spielt also die Höhe des Einkommens beider Ehepartner bei der Frage, in welches quotale Verhältnis die beiden Einkommen zu setzen sind, regelmäßig keine Rolle: es sind einkommensunabhängig 50%.

4. Bewertung:

Was bedeutet damit diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem April 2015 in ihrer praktischen Anwendung auf die Situation geschiedener und getrennt lebender Ehepartner mit Kindern?

a. Grundsätzliche Bedeutung

Zum einen ist es eine Klarstellung, wie zukünftig Kinder ohne eigenes Einkommen bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen ihrer Eltern zu berücksichtigen sind.

Auf der anderen Seite führt dieser Beschluss des Bundesgerichtshofes nach unserer Bewertung zu den Ergebnissen, dass

  • sowohl bei Ehepartnern mit zwei Einkommen, die in einer häuslichen Gemeinschaft leben
  • als auch bei geschiedenen und bei getrennt lebenden Ehepartnern mit Kindern selbst bei nur einem Einkommen die Kinder zumindest anteilsmäßig bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen unberücksichtigt bleiben werden. Denn letztendlich erbringt der Elternteil, bei dem die Kinder leben, neben dem Betreuungsunterhalt immer auch einen Naturalunterhalt in Form von unentgeltlichem Wohnen, freier Kost und Kleidung. Und damit kommen die Entscheidungsgründe aus dem Beschluss des BGH vom 16.04.2015 zur Anwendung:„(10) Der Naturalunterhalt geht über den Betreuungsunterhalt hinaus. Er umfasst ebenso wie der Barunterhalt den gesamten Lebensbedarf; der Unterschied zum barunterhalt liegt lediglich darin, dass zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse erforderliche Dinge in natura zur Verfügung gestellt werden.Wenn der andere Elternteil über die geschuldeten Betreuungsleistungen hinaus weitere Bar- oder Naturalleistungen wie unentgeltliches Wohnen oder freie Kost erbringt, verringert er deshalb auch den Bedarf des berechtigten und entlastet so den zum Unterhalt verpflichteten Schuldner.“

b. Für Schuldner

Dieses Ergebnis ist für Schuldner, deren Einkommen gepfändet wird oder die sich in der Insolvenz befinden, wirtschaftlich negativ. Durch die Verringerung der zu berücksichtigenden Personen sinkt die Pfändungsfreigrenze und steigt damit der pfändbare Anteil ihres Einkommens. Sie bekommen weniger ausbezahlt.

Es bedarf aber für diese Auswirkung immer eines Antrages des Insolvenzverwalters oder des vollstreckenden Gläubigers nach § 850 c ZPO Ohne diesen Antrag bleiben die betreffenden Familienmitglieder berücksichtigt. Der (Insolvenz)Schuldner kann demzufolge nur auf nicht aktive Gläubiger und Insolvenzschuldner hoffen.

c. Für Gläubiger

Daraus folgt im Umkehrschluss der Rat an Gläubiger,

  • bei Pfändungen von Arbeitseinkommen an den möglichen Antrag nach § 850 c Abs. IV ZPO zu denken
  • und für dessen Anwendung zu prüfen: Wie sind die Familienverhältnisse auf Schuldnerseite? Verfügt der Ehepartner über eigenes Einkommen?

Wenn Sie weitere Fragen zu dem Zusammenspiel zwischen Insolvenzrecht und Familienrecht haben, melden Sie sich gerne bei Frau Rechtsanwältin Alice Threinen, die bei uns im Hause im Familienrecht tätig ist (threinen@daniel-hagelskamp.de) oder Herrn Rechtsanwalt Carsten Lange für das Insolvenzrecht (lange@daniel-hagelskamp.de).


Carsten Lange
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Insolvenzverwalter
Mediator/ Wirtschaftmediator (DAA)

Alice Threinen
Rechtsanwältin
Fachgebiet: Familienrecht