Bundesgerichtshof klärt wesentliche Grundlage des Gewährleistungsrechtes beim Erwerb von GmbH-Anteilen. Werden nicht sämtliche oder nahezu sämtliche Anteile einer unternehmenstragenden Gesellschaft erworben, handelt es sich um einen Rechtskauf- und keinen Sachkauf. Mängel des Unternehmens sind in diesen Fällen unbeachtlich.

BGH, Urteil vom 26.09.2018 – VIII ZR 187/17

Die oberen Zivilgerichte erhalten nicht so häufig die Gelegenheit im Bereich des Unternehmenskaufes die Rechtsentwicklung vorantreiben zu können, privatautonome Schlichtungsstellen/-verfahren befrieden die Interessen der Parteien eines Unternehmenskaufvertrages weit häufiger, als die in Gerichtsöffentlichkeit geführten Streitigkeiten vor staatlichen Institutionen. Gleichwohl hatte der Bundesgerichtshof nunmehr Gelegenheit seine Auffassung zu einigen wesentlichen Grundlagen des Gewährleistungsrechtes im Rahmen von Unternehmenskaufverträgen darzulegen. Die zum alten Schuldrecht (bis zum Jahr 2001) geltenden Auffassungen wurden dabei im Wesentlichen fortgeführt und geschärft. Soweit nicht unmaßgebliche Teile der Literatur eine der wirtschaftlichen Betrachtungsweise folgenden, verstärkten Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrechtes auf den Rechtskauf bei Unternehmenskaufverträgen favorisieren, folgt dem der Bundesgerichtshof nicht.

1) Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens war ein Unternehmenskaufvertrag über einen GmbH-Geschäftsanteil, der eine 50%ige Beteiligung an der Gesellschaft vermittelte. Wie in solchen Verträgen üblich, wurde das gesetzliche Gewährleistungsrecht, soweit dies rechtlich möglich ist, ausgeschlossen. Stattdessen wurden, wie üblich, die Haftungsinteressen der Beteiligten über sog. selbständige, verschuldensunabhängige Garantieversprechen (Vertragsgarantien) formuliert. Der Verkäufer garantierte u.a. das rechtswirksame Bestehen des verkauften Gesellschaftsanteils, die Eigentümerstellung des Verkäufers, die Belastungsfreiheit des verkauften Anteils von Rechten Dritter oder die hälftige Einzahlung der Einlagen auf den Geschäftsanteil.

Mit der Klage begehrte die Klägerin Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises (4,1 Millionen EUR) sowie die Zahlung weiterer 4,8 Millionen EUR zur Sanierung der Gesellschaft. Sie stützte ihre Ansprüche zum einen auf Ansprüche auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage sowie hilfsweise auf Gewährleistungsansprüche. Ein von der Klägerin erwirktes Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kam zu dem Ergebnis, dass der für die Kaufpreisfindung maßgebliche Jahresabschluss infolge massiver Abgrenzungsfehler deutlich zu hohe Umsatzerlöse ausgewiesen habe. Bei Zugrundelegung der – von beiden Parteien irrtümlich verkannten – zutreffenden Unternehmenszahlen hätte sich eine deutlich unter Bilanz ergeben, sodass der Kaufpreis „allenfalls Null“ hätte sein müssen.

 

2) Gewährleistung beim Verkauf von GmbH-Anteilen oder Aktien

Unstreitig handelt es sich beim Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften (GmbH-Geschäftsanteilen oder Aktien) um einen Rechtskauf. Diese Art von Anteilen kennt die Rechtsordnung als Mitgliedschaftsrechte. Sie sind physisch nicht verkörpert, stofflich also nicht greifbar. Es sind also keine Sachen! Es handelt sich letztlich um ein Bündel von Befugnissen, die die Rechtsordnung dem Berechtigten zu- und anerkennt.

Betrifft vorliegend der Kauf „nur“ die rechtlichen Anteile, war und ist problematisch wie mit den Fällen zu verfahren ist, in denen nicht diese rechtlichen Anteile an einem Mangel leiden, sondern das durch die GmbH oder die AG betriebene Unternehmen selbst.

Altes Schuldrecht (bis 2001)

Der BGH hatte bereits zum alten Schuldrecht herausgearbeitet, dass es sich in dem vorliegenden Fall zwar um einen Rechtskauf handelt, bei dem gesetzlich im Regelfall nur für den Bestand des Rechts („Verität“) gehaftet wird, jedoch ausnahmsweise dann bei Mängel des von der Kapitalgesellschaft betriebenen Unternehmens die Vorschriften über die Sachmängelhaftung heranzuziehen sind, wenn sich der Erwerb des Rechtes, also des Gesellschaftsanteils, sowohl nach der Vorstellung der Parteien als auch objektiv als Kauf des Unternehmens selbst und damit bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Sachkauf darstellt. Der Bundesgerichtshof ersetzt in diesem Sonderfall das Gewährleistungsobjekt „Mitgliedschaftsrecht“ durch das betriebene Unternehmen. Der BGH bejahte diesen Sonderfall dann, wenn der Käufer von seinem Verkäufer sämtliche oder nahezu sämtliche Geschäftsanteile erwirbt und damit uneingeschränkt über das Unternehmen verfügen kann, obgleich formell die Gesellschaftsträgerin des Unternehmens und Eigentümerin der Sachwerte ist.

Neues Schuldrecht (ab 2002) und Gegenstand der vorliegenden BGH-Entscheidung

Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass der Bundesgerichtshof diese Grundsätze auch für den Anwendungsbereich des neuen Schuldrechts aufrecht erhält.

Da es sich jedoch um eine Durchbrechung der gesetzlich vorgegebenen Risikoverteilung handelt, schärft er seine Überlegungen dazu, wann von einem solchen Fall auszugehen ist.

Für den Bundesgerichtshof entscheidend ist der gesetzliche Anknüpfungstatbestand des Mängelgewährleistungsrechtes der §§ 434 ff BGB. Es ist der Kaufgegenstand selbst und nicht eine durch diesen vermittelte Herrschaftsposition. Es kommt also nach Auffassung des Gerichtes nicht darauf an, dass durch den Erwerb einer Beteiligung in Höhe von 50 % an einer GmbH der bereits 50 % der Geschäftsanteile an dieser Gesellschaft haltende Erwerber sämtliche oder nahezu sämtliche Geschäftsanteile erlangt, sondern dass der Gegenstand des konkreten Kaufvertrages „nur“ 50 % der Geschäftsanteile sind. Dieser Fall stellt sich dann folgerichtig wirtschaftlich nicht als Erwerb des Unternehmens dar, da die 50 % Beteiligung keine nahezu uneingeschränkte Verfügungsberechtigung vermittelt. Sowohl nach der Auffassung der Parteien als auch der vom Gericht unterstellten Anschauung der betroffenen Verkehrskreise handelt es sich dabei nicht um einen Fall eines Unternehmenserwerbes in wirtschaftlicher Betrachtungsweise, sondern um einen reinen Rechtskauf.

Gewährleistungsrechte beim Rechtskauf

Leidet das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen an Mängeln, die nicht den vertraglich geschützten Erwartungshaltungen des Käufers entsprechen, befindet sich der Käufer nunmehr in einem Dilemma.

Zwar ordnet das Gesetz in § 453 Abs.1 BGB an, dass auf einen Rechtskauf die Gewährleistungsvorschriften des Sachkaufes (§§ 433 ff BGB) entsprechend anzuwenden sind, doch führt dies nach Auffassung des Gerichtes nicht dazu, dass das Objekt der Gewährleistung, hier das Mitgliedschaftsrecht bzw. der Gesellschaftsanteil, im Rahmen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ersetzt wird durch die Sach- und Rechtsgesamtheit des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens. Der BGH hält trotz ausreichend kritischer Stimmen in der Literatur daran fest, dass bei einem Rechtskauf grundsätzlich nur für den Bestand des Rechts („Verität“) gewährleistet wird, nicht aber für dessen wirtschaftliche Verwertbarkeit („Bonität“) oder gar die Güte des Unternehmens, auf das sich das Recht mittelbar bezieht. Eine derartige Bonitätshaftung kommt nach Auffassung des Gerichtes vielmehr nur dann ausnahmsweise in Betracht, wenn sie vertraglich besonders vereinbart ist.

Überschuldung und Insolvenzreife der Gesellschaft kein Rechtsmangel des Gesellschaftsanteils

Da die verkauften Gesellschaftsrechte ohne rechtliche Einschränkung die den Gesellschaftsrechten zugeordneten Teilhabe-, Abstimmungs- und sonstige Gestaltungsrechten besitzen und die damit verkörperten rechtlichen Position uneingeschränkt wahrgenommen werden können, stellt auch die Überschuldung und Insolvenzreife der Gesellschaft selbst keinen Rechtsmangel der Gesellschaftsanteile dar, da die mit den Anteilen verbundenen Rechte trotz der eingetretenen wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft selbst, rechtlich uneingeschränkt ausgeübt werden können. Den rechtlichen Bestand der Anteile verletzt eine Überschuldung der Gesellschaft nicht.

3) Störung der Geschäftsgrundlage als „letzte Hilfe“

Da die Kläger im vorliegenden Verfahren aufgrund der konkreten Inhalte des Kaufvertrages nicht mit den geltend gemachten Gewährleistungsansprüchen aus Sachmängelgewährleistungsrecht in Bezugnahme auf die Überschuldungssituation der Gesellschaft im gerichtlichen Verfahren durchdrangen, prüft das Gericht noch Ansprüche auf Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB.

Nach diesen Grundsätzen kommt die Anpassung eines Vertrages wegen wesentlicher Vorstellungen der Parteien, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind und sich als falsch herausstellten, nur dann in Betracht, wenn und soweit die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie dieser Fehlvorstellung nicht erlegen wären, und einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Handelt es sich um Fehlvorstellungen, deren Auswirkungen auf den Vertrag der Gesetzgeber bereits durch Aufstellung bestimmter gesetzlicher Regeln zu erfassen versucht hat, kommt eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage mithin nicht in Betracht.

Die Kläger machten in diesem Sinne gelten, dass, hätten sie von der Insolvenzreife der Gesellschaft Kenntnis erlangt, hätten sie einen Kaufvertrag zu diesen Inhalten nie geschlossen. Der Kaufpreis hätte allenfalls einen Euro betragen. Über diesen Weg suchten die Kläger die Hilfe des Gerichtes zur Rückerlangen des Kaufpreises.

An diesem Punkt kommen die Ausführungen des Gerichtes zum Gewährleistungsrecht beim Anteilskaufvertrag den Klägern zugute.

Da es sich vorliegend um einen Rechtskauf und nicht um einen Sachkauf handelt, kann der Umstand der Insolvenzreife der Gesellschaft nicht Gegenstand der gesetzlichen Risikoverteilung sein, denn der Umstand der Insolvenzreife ist bei den Fällen des Rechtskaufs ohne rechtliche Relevanz. Die Insolvenzreife spielt bei der Frage der Gewährleistung im Rahmen des Rechtskaufs keine Rolle. Der Gesetzgeber hat aus diesem Grunde diesen Umstand nicht in sein Bild der Risikoverteilung beim Rechtskauf aufgenommen.

Das Gericht bejahte daher grundsätzlich die Eröffnung des Anwendungsbereich der Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB, verwies den Fall jedoch zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurück, da der BGH der Auffassung war, dass das Berufungsgericht hierzu notwendige Feststellungen noch nicht getroffen habe.

4) Für die Praxis

So erfreulich die rechtsdogmatische Klärung durch den Bundesgerichtshof in Bezug auf die Anwendung des Gewährleistungsrechtes beim Erwerb einer Unternehmensbeteiligung durch Kauf eines Anteils einer Kapitalgesellschaft auch ist, muss deren Relevanz bei der Gestaltung von Unternehmenskaufverträgen in der Form eines „share-deal“, d.h. in der Form des Erwerbes von Beteiligungsrechten an der das Unternehmen tragenden Gesellschaft, als eher gering qualifiziert werden. In modernen Unternehmens- oder Anteilskaufverträgen wird das Gewährleistungsrecht in der Regel und üblicherweise autonom in Anlehnung der Rechtspraxis des common law in Form abschließender, selbstständiger Garantiekataloge vereinbart, welche durch einen Ausschluss des gesetzlichen Gewährleistungsregimes flankiert werden.

Bedeutung erlangt diese Entscheidung jedoch dann, wenn sich ein Risiko verwirklicht, das nicht zum Gegenstand der vertraglichen Risikoverteilung von den Parteien gemacht worden ist. In diesen Fällen stellt das Gericht grundsätzlich infrage, ob mit dem üblichen Ausschluss der gesetzlichen Gewährleistung auch solche Ansprüche aus dem Wegfall der Geschäftsgrundlage ausgeschlossen sein sollen. Die Ausschlussklauseln von Unternehmens- oder Anteilskaufverträgen sind daher insbesondere dahingehend zu prüfen, ob auch derartige Ansprüche ausgeschlossen wurden oder werden sollen. Im vorliegenden Falle griff der BGH den Umstand auf, dass der Kaufvertrag keine Aussagen zur wirtschaftlichen Lage und dem Risiko einer Insolvenz beinhalte, sodass grundsätzlich Ansprüche aus § 313 BGB in Betracht kommen könnten.

 

Christoph Schmitz-Schunken
Rechtsanwalt
Steuerberater
Fachanwalt für Steuerrecht
Mitglied im Vorstand der Rechtsanwaltskammer Köln

Über den Autor

  • Christoph Schmitz-Schunken

    Christoph Schmitz-Schunken ist zugelassener Rechtsanwalt seit 2005, Steuerberater, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht, zert. Berater Steuerstrafrecht (DAA) und Mitglied im Vorstand der Rechtsanwaltskammer Köln. Zum Anwaltsprofil