Ein BGH-Urteil zu Zwangsvollstreckung sorgt für neue Arbeit

I. Sachverhalt

Der Sachverhalt, den der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 21.09.2017 (IX ZR 40/17) zu entscheiden hatte, war denkbar einfach und tritt in dieser Konstellation sicherlich häufig im Zuge von Insolvenzverfahren auf. Ein (späterer) Insolvenzschuldner eröffnete ein Pfändungsschutzkonto. Verschiedene Gläubiger ließen dem Kreditinstitut insgesamt 7 Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zustellen. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet.

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens überstiegen die Zahlungseingänge auf dem Pfändungsschutzkonto die Pfändungsfreigrenze. Infolgedessen übertrug das Kreditinstitut diese Beträge auf ein von ihr geführtes so genanntes Separierungsskonto. Dieses Konto wies sodann im Zuge des Insolvenzverfahrens ein Guthaben auf. Der Insolvenzschuldner forderte das Kreditinstitut auf, die auf diesem Konto angesammelten Beträge an ihn zu überweisen. Die Bank teilte ihm mit, dass er aufgrund der vorliegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse über dieses Kontoguthaben nicht verfügen könne und sie deshalb an ihn nicht auszahlen könne.

Diese rechtliche Bewertung bestätigte der Bundesgerichtshof in seinem vorerwähnten Urteil.

II. Rechtliche Begründung

Begründet wird diese Rechtsansicht mit der so genannten Verstrickung. Die Pfändung im Rahmen eines staatlichen Vollstreckungsverfahrens führt zur Verstrickung des gepfändeten Gegenstandes. Die Verstrickung bedeutet, dass über die gepfändete Sache ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis zum Zwecke der Zwangsvollstreckung besteht (Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 361). Diese Verstrickung hat unter anderem ein Pfändungspfandrecht und ein Verfügungsverbot zur Folge. Sie endet erst mit der abgeschlossenen Verwertung oder mit der Aufhebung der Pfändung.

Und diese Aufhebung wiederum setzt voraus, dass derjenige, der verfügen möchte, die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung geltend machen muss. Diese Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung kann beispielsweise mit den Rechtsnormen nach §§ 88, 89 InsO begründet werden. Danach wird eine Sicherung im Zuge der Zwangsvollstreckung, die im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt ist, unwirksam (§ 88 InsO). Im Weiteren regelt § 89 InsO, dass die Zwangsvollstreckung während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig ist.

Oder anders formuliert: Diese vorerwähnten Regelungen in §§ 88, 89 InsO zur Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Zuge eines Insolvenzverfahrens haben keinen Einfluss auf die Entstehung und Beendigung der Verstrickung.

III. Praktische Bedeutung

Die häufigste Form der Zwangsvollstreckung im Zuge von Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen, die keine selbstständige Tätigkeit ausüben, wird die Kontenpfändung sein. So ist es auch in dem vorerwähnten vom Bundesgerichtshof entschiedenen Sachverhalt gewesen. Für die im Zuge eines Insolvenzverfahrens beteiligten Personen – und damit primär die Insolvenzverwalter und die Insolvenzschuldner – bedeutet die vorerwähnte Rechtsprechung, dass letztendlich bei jeder Kontenpfändung im Hinterkopf zu behalten ist: Wenn hier pfändungsfreie Guthaben (und damit Forderungen) entstehen, muss zunächst ein Rechtsbehelf eingelegt werden, um die Verstrickung zu beenden und damit über das Konto bzw. die Forderung zu verfügen.

Die einfachere Alternative wird es sein, sich mit dem betreffenden Gläubiger über eine Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme zu einigen. Nicht alle Gläubiger werden dazu aber bereit sein und möglicherweise drängt die Zeit, um wieder verfügen zu können.

Insbesondere in Erinnerung behalten wird man diese Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Hinblick auf eine anstehende Beendigung des Insolvenzverfahrens. Denn wenn es kein Insolvenzverfahren mehr gibt, finden auch die Regelungen nach §§ 88, 89 InsO keine Anwendung mehr. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass ein (vormaliger) Insolvenzschuldner an einer Verfügung bezüglich seines seit Jahren bestehenden und vor Jahren gepfändeten Bankkontos gehindert ist. Denn diese möglicherweise längere Zeit zurückliegende Pfändung führt zu der vorerwähnten Verstrickung und damit zu einem Verfügungsverbot. Und die Erteilung der Restschuldbefreiung führt nicht zu einem Erlöschen der Forderung gegen den Schuldner. Die Forderungen werden vielmehr nur zu so genannten unvollkommenen Verbindlichkeiten, hinsichtlich derer ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners besteht. Da die Forderung nicht erloschen ist, bleibt auch das Pfändungspfandrecht existent – und damit die Verstrickung.

Letztendlich entsteht durch dieses BGH-Urteil – unabhängig von seiner rechtlich zutreffenden Bewertung – ein erweiterter Arbeitsaufwand für die Beteiligten und für die rechtlichen Berater die eine Herausforderung darstellende Aufgabe, ihren Mandanten den rechtlichen Begriff der Verstrickung und seine Rechtsfolgen zu erläutern.

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Carsten Lange
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Mediator/Wirtschaftsmediator (DAA)
Coach