I. Beschreibung der Ausgangslage

Ein Kunde befindet sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und bittet Sie als Vertragspartner um Zahlungserleichterungen und damit eine Ratenzahlung. Hiermit erklären Sie sich als Forderungsinhaber einverstanden. Der Ratenzahlungsplan wird vereinbart. Die monatlichen Beträge werden gezahlt und später gerät Ihr Gläubiger in die Insolvenz.

Der Insolvenzverwalter macht einen Anfechtungsanspruch nach § 133 InsO (sogenannte vorsätzliche Benachteiligung) auf Rückzahlung der geleisteten Raten geltend. Er begründet dies unter anderem damit, dass der Gläubiger aufgrund der damaligen Situation (z.B. über längere Zeit verspätete Zahlungen oder Rücklastschriften) über die Zahlungsunfähigkeit Kenntnis gehabt habe.

II. Einschränkung des Anfechtungsrechtes durch gesetzliche Änderung im Jahre 2017

Um diesen Anfechtungsanspruch und damit das wirtschaftliche Risiko der Gläubiger zu reduzieren, gab es im Jahre 2017 eine Gesetzesänderung im Hinblick auf diesen Tatbestand der vorsätzlichen Benachteiligung in § 133 InsO. Unter anderem umfassten diese Änderungen folgende Aspekte:

-Zum einen wurde der Anfechtungszeitraum für Zahlungen, mit denen eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wurde (sogenannte kongruente Deckung) von 10 Jahren auf 4 Jahre reduziert (§ 133 Abs. 2 InsO);

-Und zum anderen wurde eine gesetzlich Vermutung in den Gesetzestext in § 133, Abs. 3 S. 2 InsO aufgenommen, die wie folgt lautet: „Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterungen gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.“

Über die Bedeutung und den Umfang dieser Vermutung gibt es unterschiedliche Ansichten und mit seinem Urteil vom 07.05.2020 (Az. IX R 18/19) hat der Bundesgerichtshof hierzu seine Rechtsansicht und letztendlich damit die Richtschnur, nach der nunmehr zu entscheiden und zu handeln ist, mitgeteilt.

III. Urteil des Bundesgerichtshofes vom 07.05.2020 (Az. IX ZR 18/19)

1. Sachverhalt

Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der später insolvente Schuldner betrieb eine Gaststätte. Ihm wurde von einer Bank ein Darlehen gewährt. Hierzu zog die Bank die vereinbarten monatlichen Raten im Lastschriftverfahren beim Schuldner ein. Im Hinblick auf die Einzugsversuche der Monate April und Mai kam es zu Rücklastschriften. Von Juni bis August zog die Bank die fälligen Raten nicht ein. Im August kündigte die Bank das Darlehen und in der Folgezeit schloss die Bank mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung. Aufgrund dieser Vereinbarung zahlte der Schuldner von September bis November des gleichen Jahres Raten an die Bank. Nach der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners (Gastättenbetreibers) erfolgte die Anfechtung dieser Ratenzahlungseingänge gegenüber der Bank durch den Insolvenzverwalter.

Die im Zuge dieses Urteiles relevante Fragestellung ist, ob die Bank, die mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen hatte, sich erfolgreich auf die gesetzliche Vermutung nach § 133 Abs. 3 S. 2 InsO berufen konnte und damit auf die Vermutung, dass sie die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte-mit der Folge, dass der Anfechtungsanspruch nach § 133 InsO ihr gegenüber nicht besteht.

2. Rechtliche Bewertung durch den Bundesgerichtshof

a.Widerlegliche Vermutung

Zunächst stellt der Bundesgerichtshof (Rz. 17) fest, dass es sich bei der Regelung in § 133 Abs. 3 S. 2 InsO um eine widerlegliche gesetzliche Vermutung handelt. Damit ist es dem Insolvenzverwalter möglich, durch Vortrag entsprechender Kenntnis, die der Anfechtungsgegner und damit hier die Bank gehabt hatte, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen.

b. Aspekte zum Widerlegen der Vermutungsfolge

Zu diesem möglichen Vortrag des klagenden Insolvenzverwalters, die Vermutungsfolge zu widerlegen, benennt der Bundesgerichtshof in seinem Urteil folgende zu berücksichtigende Aspekte:

(b1) Die Vermutung nach § 133 Abs. 3 S. 2 InsO hat die Wirkung, dass sich der Verwalter weder auf die Gewährung der Zahlungserleichterung noch auf die darauf gerichtete Bitte des Schuldners stützen kann. Er darf die den Vermutungstatbestand bildenden Umstände daher nicht heranziehen, um die Vermutungsfolge zu widerlegen.

(b2) Als Vortrag, die Vermutungsfolge zu widerlegen und damit die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit auf Seiten des Gläubigers darzulegen, gibt es nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keine zeitliche Begrenzung. So kommen dafür nicht nur Umstände in Betracht, die nach der Gewährung der Zahlungserleichterung aufgetreten sind. Auch mit Umständen aus der Zeit vor der Zahlungsvereinbarung kann der Beweis erbracht werden, dass der Gläubiger zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung (hier der Zahlung) Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hatte. Das Feld der Argumentation für den Insolvenzverwalter ist also weit.

c. Weitere Möglichkeit des Sachvortrages des Insolvenzverwalters zum widerlegen der Vermutung

Damit kann der Insolvenzverwalter praktisch mit Ausnahme der Aspekte, dass es eine Ratenzahlungsvereinbarung gegeben hat und um diese auf Seiten des Schuldners gebeten wurde, sämtliche Geschehnisse aus der Geschäftsverbindung zwischen Insolvenzschuldner und seinem Vertragspartner, gegenüber dem die Anfechtung erklärt worden ist und der Zahlungen erhalten hat, heranziehen – um den Nachweis der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auf Seiten des Anfechtungsgegners zu erbringen.

Im vorliegenden Fall ist dies die Situation aus der Darlehensverbindung zwischen späterem Insolvenzschuldner und Bank, wonach es vier Rücklastschriften gegeben hat. Hierdurch wird die vorgenannte gesetzliche Vermutung widerlegt und damit angenommen, dass die beklagte Bank die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und damit ihres Vertragspartners kannte.

d. Gläubigerbenachteiligung als weiteres Tatbestandsmerkmal

Zudem muss die beklagte Bank als Anfechtungsgegner gewusst haben, dass die angefochtenen Handlungen (hier die Ratenzahlungen) die Gläubiger benachteiligen. Sonst besteht der Anfechtungsanspruch ihr gegenüber nicht.

Weiß ein Anfechtungsgegner von einer drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners, muss er grundsätzlich auch davon ausgehen, dass Zahlungen an ihn selbst andere Gläubiger benachteiligen. Hiervon ist auszugehen, wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch andere Gläubiger gibt, deren Forderungen vom Schuldner nicht vollständig bedient werden. Mit Letzterem wiederum muss der Gläubiger rechnen, wenn der Schuldner unternehmerisch tätig ist. Dies bedeutet in der zwangsläufigen Konsequenz: Ein Gläubiger, der Kenntnis von der unternehmerischen Tätigkeit seines Vertragspartners hat, kennt damit zwangsläufig die Benachteiligung der anderen Gläubiger.

3. Bewertung des Risikos für Anfechtungsgegner

Die Folge des vorerwähnten Urteils des Bundesgerichtshofes ist, dass die im Zuge der Gesetzesänderung im Jahre 2017 aufgenommene gesetzliche Vermutung (§ 133 Abs. 3 S. 2 InsO) ein nur sehr schwaches Argument zur Verteidigung und Hilfestellung für Gläubiger ist.

Denn geschäftliche Beziehungen mit in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Vertragspartnern beschränken sich zumeist nicht darauf, dass irgendwann einmal punktuell um eine Ratenzahlung gebeten wird. Zumeist gibt es zu dieser Zahlungsvereinbarung einen Weg dorthin und damit eine Vorgeschichte. Der Sachverhalt, der dem vorerwähnten Urteil des Bundesgerichtshofes zugrunde liegt, zeigt hierfür ein praktisches Beispiel in Form von nicht eingelösten Lastschriften. Dies sind die Indizien, aufgrund derer eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auf Seiten des Vertragspartners angenommen werden kann. Hierauf wird sich der Insolvenzverwalter stützen und die gesetzliche Vermutung über die Nichtkenntnis der Zahlungsunfähigkeit widerlegen.

Wenn es diese Aspekte, aufgrund derer eine Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit durch den Vertragspartner angenommen werden kann, in einer Geschäftsverbindung gibt, bleiben Ratenzahlungsvereinbarungen einem Anfechtungsrisiko ausgesetzt. Diese Begleitumstände der Geschäftsverbindung muss man sich ansehen, wenn man dieses Anfechtungsrisiko quantifizieren will.

III. Anfechtungsschutz durch COVInsAG

Im Zuge dessen ist an dieser Stelle aus aktuellem Anlass kurz ergänzend auszuführen, inwieweit das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) die Vertragspartner eines Insolvenzschuldners und damit die späteren Gläubiger und potentiellen Anfechtungsgegner schützt. Die betreffende Formulierung im Gesetz lautet wie folgt (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 COVInsAG):

„Soweit nach § 1 die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzverfahrensantrages ausgesetzt ist, sind Rechtshandlungen die dem anderen Teil eine sichere Befriedigung gewährt oder ermöglicht haben, die dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, in einem späteren Insolvenzverfahren nicht anfechtbar; dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.“

Unter folgenden Voraussetzungen ist eine Anfechtung gegenüber einem Vertragspartner im Hinblick auf erfolgte Zahlungen, auf die er einen Anspruch hatte (also z.B. Zahlung infolge von Ratenzahlungsabsprachen) vor einer Anfechtung geschützt:

1. Keine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages durch seinen Vertragspartner:
Es muss die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages nach diesem Gesetz ausgesetzt sein. Hierfür wiederum lauten die Voraussetzungen:

-aktueller Zeitraum der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis 30.09.2020

-Die Insolvenzreife beruhte auf den Folgen der COVID-19 Pandemie und es bestehen Aussichten darauf, dass eine bestehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt wird.

War der Vertragspartner am 31.12.2019 nicht zahlungsunfähig, wird vermutet, dass die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie beruht und Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Auch diese gesetzliche Vermutung ist widerleglich.

Es gibt also keinen Automatismus, wonach eine Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages aktuell nicht besteht. Hierfür müssen vielmehr Voraussetzungen vorliegen und ob diese gegeben sind, ist beim Vertragspartner zu erfragen. Denn wenn sie nicht vorliegen, gilt auch nicht der Schutz vor Anfechtung nach diesem Gesetz.

2. Umfasst von diesem Anfechtungsschutz sind sogenannte kongruente Deckungen und damit die Zahlungen, auf die auf der Grundlage von Zahlungsvereinbarungen ein Anspruch besteht.

3. Sogenannte Rückausnahme vom Anfechtungsschutz: Die Einschränkungen der Anfechtbarkeit scheiden dann wiederum aus, wenn dem Vertragspartner bekannt war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind.

In jedem Fall muss es Sanierungsbemühungen gegeben haben, die der Schuldner unternommen hat. Bei dem Schuldner, der Sanierungsbemühungen nur vorspiegelt, besteht daher kein Anfechtungsschutz. Was unter diesen Sanierungsbemühungen zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen die Geeignetheit dieser Bemühungen zu überprüfen ist, ist streitig – und wird letztendlich durch zukünftig hierzu ergehende Rechtsprechung beantwortet werden. Genauso wie das Urteil vom 07.05.2020 des Bundesgerichtshofes die offenen Fragen zur gesetzlichen Vermutung nach § 133 Abs. 3 S. 2 InsO beantwortet, wird es irgendwann einmal ein Urteil des Bundesgerichtshofes geben, das die Frage beantwortet, auf welche Sanierungsbemühungen sich ein Anfechtungsgegner verlassen durfte und auf welche nicht.

4. Risikobewertung zum COVInsAG

Dieses Gesetz schützt in dem vorgenannten Umfange die Vertragspartner und damit potentiellen Anfechtungsgegner. Dies entspricht der Zielsetzung des Gesetzes, dass aktuell den Unternehmen finanziell von ihren Vertragspartnern geholfen werden soll – ohne damit in ein offenes Anfechtungsrisiko zu laufen. Auch hier gibt es aber keinen Automatismus, wonach man
als Gläubiger bis 30.09.2020 keinem Anfechtungsrisiko ausgesetzt ist. Vielmehr gilt es jeweils zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für diesen Anfechtungsschutz bei Absprache von Ratenzahlungsvereinbarungen vorliegen – und dies sind folgende Fragen:

-Liegen die Grundlagen dafür vor, dass die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt ist ;

-und liegt die Rückausnahme nicht vor, wonach es gar keine Sanierung und Finanzierungsbemühungen des Schuldners gibt oder diese mit Kenntnis des Vertragspartners des Insolvenzschuldners (als potentiellem Anfechtungsschuldner) nicht geeignet sind.

Für weitere Fragen zu dieser Thematik stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Melden Sie sich hierzu auf Wunsch bei meiner Mitarbeiterin Frau Schanz unter der Telefonnummer 0241/94621-138 oder bei mir per E-Mail unter der Adresse lange@dhk-law.com.

Carsten Lange
Mediator/Wirtschaftsmediator (DAA), coach
Fachanwalt für Insolvenzrecht

Über den Autor

  • Carsten Lange

    Carsten Lange ist zugelassener Rechtsanwalt seit 1996 und Fachanwalt für Insolvenzrecht und für Steuerrecht, zudem ist er ausgebildeter Wirtschaftsmediator und Coach. Zum Anwaltsprofil