Die Mitglieder der SPD haben dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Es ist somit an der Zeit, die Entscheidungen und Vorgaben des Koalitionsvertrages zur Gesundheitspolitik und zum Medizinrecht anzusehen.

1. Ambulante Versorgung

Die Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten sollen weiter verbessert werden. Hierfür sollen »unnötige und bürokratische Anforderungen abgebaut und die Rahmenbedingungen für die Zulassung flexibilisiert werden«. Vorgaben, welche bürokratischen Anforderungen als »unnötig« angesehen werden und somit entfallen und wie die Rahmenbedingungen für die Zulassung vereinfacht werden sollen, bleibt offen.

Konkret ist allerdings die Vorgabe, die Möglichkeit zur Zulassung von Krankenhäusern zur ambulanten Versorgung in unterversorgten Gebieten zu verbessern. Bislang »können« Krankenhausärzte im Rahmen der Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Rechtsgrundlage hierfür ist § 116a SGB V. Dort ist geregelt, dass ein Krankenhausarzt ermächtigt werden »kann«. Dies soll geändert werden. Die Bestimmung soll von einer Kann-Regelung in eine Muss-Regelung geändert werden. Künftig muss also ein Krankenhausarzt im Falle der Unterversorgung durch eine Ermächtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden.

Eine weitere gravierende Veränderung hält der Koalitionsvertrag für die niedergelassenen Ärzte bereit, die sich mit dem Gedanken tragen, in absehbarer Zeit die vertragsärztliche Tätigkeit aufzugeben und die eigene Praxis zu veräußern.

Durch das Versorgungsstrukturgesetz im Jahr 2012 wurde § 103 SGB V dahingehend geändert, dass im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens vor einer Ausschreibung der Zulassungsausschuss zu prüfen hat, ob überhaupt ein Nachbesetzungsverfahren durchgeführt werden soll. Derzeit »kann« der Zulassungsausschuss den Antrag auf Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes ablehnen, wenn dies aus Versorgungsgründen, etwa wegen bestehender Überversorgung, nicht erforderlich ist. Von dieser Möglichkeit haben die Zulassungsausschüsse bislang nur wenig Gebrauch gemacht. Dies könnte sich künftig ändern. § 103 SGB V wird nach dem Koalitionsvertrag von einer »Kann«- in eine »Soll«-Regelung überführt. Damit verbunden ist eine Veränderung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Damit sollen die Zulassungsausschüsse im Falle der festgestellten Überversorgung regelhaft von einer Einleitung des Nachbesetzungsverfahrens absehen. Wir werden es daher häufiger mit Nachbesetzungsverfahren zu tun haben, bei denen die KV die Praxis »vom Markt nimmt« und eine Entschädigung gezahlt wird. Wie die damit zusammenhängenden Probleme beispielsweise bezüglich der Übernahme von Mitarbeitern, langfristige Mietverträge, Leasingverträge und Finanzierungen, Bewertung des materiellen Praxisvermögens, Abfindung für den immateriellen Wert der Praxis unter Einschluss der Privatpatienten, etc. gelöst werden, bleibt abzuwarten. Zunehmen werden sicherlich auch die Strategien zur Umgehung dieser Regelung im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens.

Der Koalitionsvertrag nimmt sich auch dem Dauerthema der langen Wartezeiten für gesetzlich versicherte Patienten an. Zur Reduzierung der Wartezeiten für gesetzlich versicherte Patienten sollen diese sich zukünftig bei der Überweisung an einen Facharzt an eine zentrale »Terminservicestelle« bei der KV wenden können. Diese »Terminservicestelle« kann von der KV gemeinsam mit Krankenkassen betrieben werden. Dem Patienten soll innerhalb einer Woche ein Behandlungstermin vermittelt werden, der wiederum in den kommenden vier Wochen liegen muss. Kann ein solcher Termin nicht vermittelt werden, so wird die »Terminservicestelle« berechtigt, einen ambulanten Behandlungstermin in einem Krankenhaus anzubieten. Die dortige Behandlung erfolgt zulasten des jeweiligen KV-Budgets.

Die Trennung im Rahmen der Honorarverteilung zwischen dem hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung und dem fachärztlichen Teil wird dahingehend modifiziert, dass die von Fachärzten erbrachten hausärztlichen Leistungen nicht mehr den hausärztlichen Teil der Gesamtvergütung mindern und umgekehrt dies auch für fachärztliche Leistungen gelten soll, die von Hausärzten erbracht werden.

Eine weitere bemerkenswerte Absicht betrifft die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Der ursprünglich als fachübergreifende Einrichtung in das Gesetz aufgenommene Leistungserbringer im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verliert seinen fachübergreifenden Charakter und sein damit verbundenes Alleinstellungsmerkmal. Vorgesehen ist, dass künftig auch arztgruppengleiche MVZ zugelassen werden sollen.

Bei gleichzeitigem Vorrang eines ärztlichen Bewerbers soll es zudem auch Kommunen ermöglicht werden, MVZ zu gründen.

Eine weitere Regelung verstärkt die Mitbestimmung der Krankenkassen im Rahmen der ärztlichen Leistungserbringung. Die Krankenkassen sollen eine »Koordinierungsfunktion« im Rahmen des »Entlassungsmanagements« bei dem Übergang vom stationären in den ambulanten Versorgungsbereich übernehmen. Zeitgleich sollen die Möglichkeiten der Krankenhäuser, bei einer Entlassung von Patienten Leistungen zu verordnen, ausgeweitet werden.

Ferner sollen sich die Rahmenbedingungen zum Abschluss von Vereinbarungen der integrierten und selektiven Versorgung für die Krankenkassen vereinfacht werden. Zugleich bleiben die Krankenkassen gesetzlich verpflichtet, die hausarztzentrierte Versorgung anzubieten. Die dort bestehenden Vergütungsbeschränkungen werden aufgehoben. Strukturierte Behandlungsprogramme für chronisch Kranke werden weiterentwickelt, neue Programme sollen für die Behandlung von Rückenleiden und Depressionen entwickelt werden.

Zur Förderung »innovativer sektorübergreifender Versorgungsformen« und die Versorgungsforschung wird ein Fonds geschaffen, für den 300 Mio. € von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden, die dafür wiederum 150 Mio. € aus dem Gesundheitsfonds erhalten.

Die Delegation von Leistungen innerhalb der ärztlichen Praxis an qualifizierte Mitarbeiter aus nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen soll flächendeckend ermöglicht und leistungsgerecht vergütet werden. Hierzu ist beabsichtigt, Modellvorhaben durchzuführen.

In strafrechtlicher Hinsicht werden wir nach den Vorgaben des Kollisionsvertrages in der laufenden Legislaturperiode die Auswirkungen des BGH-Urteils zur fehlenden Korruptionsstrafbarkeit niedergelassener Ärzte spüren. Es soll ein neuer Straftatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen geschaffen werden.

2. Stationäre Versorgung

Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis zur flächendeckenden Krankenhausversorgung.

Es ist eine »Qualitätsoffensive« zur Verbesserung der Qualität in der stationären Versorgung geplant. Qualität soll als weiteres Kriterium für Entscheidungen in der Krankenhausplanung in § 1 KHG eingeführt werden. Als weitere Maßnahme der Qualitätssicherung soll der Medizinische Dienst der Krankenkassen zur Überprüfung der Qualitätsvorgaben künftig unangemeldete Kontrollen in den Krankenhäusern durchführen. Die jährlich zu erstellenden Qualitätsberichte der Krankenhäuser müssen verständlicher, transparenter und als Grundlage für die Patientenentscheidung präziser werden. Zur Erhöhung der Vergleichbarkeit von Qualität im Krankenhaus soll eine online einsehbare Vergleichsliste der Krankenhäuser erstellt werden. Schließlich sollen die in einigen Krankenhäusern bereits genutzten OP-Sicherheits-Checklisten allgemeiner Standard der Qualitätssicherung werden.

Der erhöhte Aufwand zur Sicherstellung der Qualität soll sich auch finanziell niederschlagen. Leistungen mit hoher Qualität können von Mehrleistungsabschlägen ausgenommen werden. Für besonders gute Qualität sollen Zuschläge möglich sein. Umgekehrt sollen bei unterdurchschnittlicher Qualität für einzelne Leistungen auch höhere Abschläge ermöglicht werden.

Der Gemeinsame Bundesausschuss soll vier Leistungen auswählen, bezüglich derer die Krankenkassen in den Jahren 2015 bis 2018 modellhaft Qualitätsverträge mit einzelnen Krankenhäusern abschließen können.

Patienten sollen nach dem Willen der Koalitionspartner künftig regelhaft die Möglichkeit erhalten, eine Zweitmeinung bei einem weiteren Facharzt oder Krankenhaus einzuholen, um die Indikationsstellung zu einer Operation zu überprüfen. Den Ärzten/Krankenhäusern wird bei der Indikationsstellung zu einer Operation die Pflicht auferlegt, Patienten über das Recht zur Einholung einer Zweitmeinung verbindlich aufzuklären. Diese Aufklärung soll mindestens 10 Tage vor der Operation erfolgen. Die Kosten für diese Zweitmeinung sollen den Krankenkassen auferlegt werden.

Die Personalkosten der Krankenhäuser sollen bei der DRG-Kalkulation neu berücksichtigt werden. Der Nachweis über die tatsächliche Verwendung der berücksichtigten Mittel für Personalkosten durch die Krankenhäuser soll »in den Budgetverhandlungen in geeigneter Weise unbürokratisch« erfolgen.

Krankenhäuser, die neue Medizinprodukte mit hoher Risikoklasse nutzen, werden verpflichtet, sich in der Phase nach der Markteinführung an den Nutzen- und Sicherheitsstudien des Gemeinsamen Bundesausschuss zu beteiligen.

Eine Neuordnung wird im Bereich der ambulanten Notfallversorgung angekündigt. Die Koalitionspartner haben durchaus zutreffend festgestellt, dass sich bereits jetzt die ambulante Notfallversorgung außerhalb der allgemeinen Praxissprechzeiten auf die Krankenhäuser konzentriert. Angestrebt wird eine regelhafte Kooperation der KV und der Krankenhäuser zur Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung. In eine solche Kooperation soll auch der Notdienst der Apotheken einbezogen werden. Geplant ist also die Notfallpraxis am Krankenhaus mit angeschlossener Notdienstapotheke.

Die Universitätskliniken und Krankenhäuser der Maximalversorgung werden im Rahmen des Koalitionsvertrages gesondert bedacht. Deren Leistungen sollen im DRG-System höher vergütet werden. Für Behandlungsfälle mit extrem hohen Kosten, die durch die Fallpauschalen nicht sachgerecht abgebildet werden, sollen bis Ende 2014 Vorschläge für eine geeignete gesonderte Vergütungsform vorgelegt werden. Zudem sollen die Leistungen der Hochschulambulanzen künftig »angemessen vergütet werden«.

In der psychotherapeutischen Versorgung soll zur Reduzierung von Wartezeiten und schnelleren Erreichbarkeit der Kurzzeittherapie das Antrags- und Gutachterverfahren vereinfacht werden.

Für die stationäre Behandlung in der Psychiatrie und Psychosomatik sind »systematische Veränderungen des Vergütungssystems« beabsichtigt, ohne jedoch konkret zu benennen, in welche Richtung diese Änderungen gehen sollen. Genannt werden die grundsätzlichen Ziele der Transparenz und Leistungsorientierung sowie einer besseren Verzahnung ambulanter und stationärer Leistungen in diesem Bereich.

Wie der Gesetzgeber in den kommenden Jahren diese Absichten umsetzt, bleibt spannend.


Thomas Oedekoven, Rechtsanwalt

Fachgebiete
Sozialrecht
Medizinrecht
Arzthaftungsrecht
Versicherungsrecht

Über den Autor

  • Thomas Oedekoven

    Thomas Oedekoven ist zugelassen als Rechtsanwalt seit 2000 und Fachanwalt für Medizinrecht, Sozialrecht und für Versicherungsrecht. Zum Anwaltsprofil